Zukunft steuerbar machen

Interview mit dem Meister des kybernetischen Projektmanagements Dr. Otto Greiner...

Strategie Preisträger 2007 Dr. Otto Greiner war der erste, der in den frühen 8Oer-Jahren baukybernetische Managementmethoden auf österreichischen Baustellen einführte. Er entwickelte eine auf der EKS beruhende Projektmanagement-Methode weiter und setzte: sie u.a. im Kraftwerksbau um. Nach vielen Flusskraftwerken wurden bzw. werden derzeit einige spektakuläre Bauvorhaben in Österreich mit dieser baukybernetischen Managementmethode abgewickelt. Schließlich gelangen ihm in der Königsdisziplin des Projektmanagement, dem Krankenhausbau im Jahre 2000 zwei Welt-Rekorde: Die Errichtung einer Klinik in Graz mit einem Investitionsvolumen von rund 35 Mio. Euro erfolgte - ohne Generalunternehmer - in nur 19 Monaten bis zum Vollbetrieb. Und es war die erste nach ISO zertifizierte Hochbaustelle der Welt. Im Moment ist er u.a. für das Termin- und Projektqualitätsmanagement beim Um- und Neubau des Landeskrankenhauses Klagenfurt dem zehntgrößten Krankenhaus Europas verantwortlich.

SJ: Dr. Greiner, wie sind Sie denn auf die Idee gekommen, kybernetische Methoden am Bau einzusetzen?

Greiner:
Es begann wie bei allen EKSlern mit dem Durcharbeiten des Lehrgangs. Das war der erste EKS-Lehrgang, damals in den 70er-Jahren. Daraufhin traf ich Wolfgang Mewes, der mich auf eine deutsche EKS-Gruppe aus dem Bauwesen hinwies. Der Austausch mit diesen Personen war für mich sehr bereichernd und eine sehr gute Basis für meine weitere Arbeit und Entwicklung. Ursprünglich kam ich aus dem "deterministischen Projektmanagement", in dem man davon ausgeht, dass die gesamte Projekt-Zukunft planbar und berechenbar ist. Diese Annahme führt natürlich zwangsläufig zu Frustrationen in der Praxis. Doch wenn so etwas auf universitärem Boden gelehrt wird, so zweifelt man eben erst mal an sich selber und nicht an der Methodik.

SJ: Wie unterscheidet sich die kybernetische Methodik vom üblichen Projektmanagement im Bauwesen?

Greiner: Unsere Methodik unterscheidet sich ganz klar vom deterministischen Management. Frederik Vester hat das sehr gut am Unterschied zwischen so genannter „Objekt- und Handlungssysteme" dargestellt: Bei Objekt- oder Sachsystemen ist die Beziehung zwischen Plan und dem daraus entstehenden Produkt eindeutig und damit berechenbar. Wenn ich also einen Plan von einem Haus zeichne, dann muss das Gebäude am Ende so aussehen, wie der Plan das vorsieht. Wenn ich aber für dieses Haus einen Termin- oder Kostenplan erstelle - hier geht es um ein Handlungssystem -, so gibt es in der praktischen Umsetzung keine
eindeutige Beziehung mehr zwischen dem geplanten und dem tatsächlichen Termin bzw. Kostenablauf. Wenn also zehn Projektsteuerer für ein und dasselbe Projekt einen Terminplan erstellen, dann wären dies sicher zehn verschiedene Pläne und Sie können wetten: die Realisierung ergäbe letztlich eine elfte Version. Die Störung ist eben nicht voraussehbar. Wenn ich aber etwas nicht vorausberechnen kann, dann muss ich es eben steuerbar machen - Kybernetik ist Steuermannskunst. Das oberste Ziel ist, das Projekt genau ins Ziel zu steuern...

Wenn ich etwas nicht vorausberechnen kann, dann muss ich es eben steuerbar machen.

Um Störungen in den Griff zu bekommen, muss ich Handlungsspielräume schaffen und ausreichende Reservezeiten einplanen. Das haben wir bei der Rekordklinik - einem Privatkrankenhaus in Graz - natürlich gemacht. Die ungefähr 10 bis 15% geplanten Reservezeiten mussten wir zwischenzeitlich voll in Anspruch nehmen, teilweise haben wir sie während der Bauabwicklung wieder zurück gewonnen. Zum Beispiel: Das größte Risiko beim Bau ist immer der Baugrund. Wenn der Boden nicht das hält, was das Baugrundgutachten vorher beschrieben hat, dann wird es schwierig. In dem erwähnten Fall ist das ja auch passiert. Wir hatten aggressive Grundwasser, die aufgrund der Bodenaufschlüsse nicht zu erwarten waren. Die dadurch entstandenen terminlichen Probleme lösten wir mit den geplanten Reservezeiten, somit war der Fertigstellungstermin nie gefährdet.

SJ: Wie läuft denn so ein Riesenprojekt wie z.B. das LKH Klagenfurt ab?

Greiner: Der Ablauf ist unabhängig vom Projekt immer ähnlich: Bauherr und Nutzer definieren ihren Bedarf und die organisatorischen und medizinischen Rahmenbedingungen. Darauf aufbauend, gibt es einen Wettbewerb der Architekten. Dann werden die jeweiligen Kosten der Vorentwürfe geschätzt. Es folgt eine Bewertung und schließlich wird die beste Lösung umgesetzt. Dann setzt das Projektmanagement schon mit der Kostensteuerung ein. Das erfolgt nämlich am besten in der Anfangsphase. Da könnte man theoretisch noch 100% der Projektkosten einsparen, indem man sich einfach entschließt, doch nicht zu bauen.

Das Handhaben von Informationen wird immer komplexer und schwieriger, je mehr Projektbeteiligte es gibt.

Die Kostensteuerung in dieser Entwurfsphase erfolgt in erster Linie über die Baukubatur und deren Qualität. Das ist die Phase in der das Projektmanagementteam zusammen mit dem Planer besonders gefordert ist. So waren z.B. bei der vorhin erwähnten Privatklinik in Graz 13 Vorentwürfe notwendig. Es wurden die Größe der Energiezentralen, die Anzahl der Tiefgaragenplätze wie die Raumhöhen in den Pflegestationen genau hinterfragt und verändert. Erst als aufgrund dieser Ergebnisse das vorgegebene Kostenziel erreichbar war, wurde seitens des Projektmanagements „grünes Licht" für die Weiterführung der Planung gegeben.

Das alles erfolgt in permanenter Abstimmung mit dem Bauherren und Nutzer. Die nächsten Schritte sind die Entwurfs- und die Genehmigungsplanung bis schließlich die Ausführungsplanung folgt. Bis zur letzteren hat der Bauherr und Nutzer - dank unserer element- und nicht gewerkorientierten Vorgangsweise - jederzeit die Möglichkeit Änderungswünsche einzubringen.

Dies stellt das Projektmanagementteam vor erhöhte Anforderungen, die aber mit der kybernetischen Methode bewältigbar sind. Derzeit sind bei diesem Großprojekt in Klagenfurt, das ebenfalls ohne Generalunternehmer errichtet wird, ca. 70% der Leistungen vergeben, und wir liegen bei den Kosten „genau auf Kurs". Seit Herbst 2006 laufen auch schon die Bauarbeiten; mit den Erdarbeiten sind wir fertig und die Betonarbeiten des Rohbaus sind voll angelaufen. Jetzt kommt natürlich die „heiße" Phase der Terminsteuerung, die ihren Höhepunkt im Innenausbau einschließlich der Technikgewerke erreicht.

SJ: Kybernetik heißt Selbstorganisation, welche Instrumente stehen Ihnen hierfür zur Verfügung?

Greiner: Selbstorganisation entsteht immer durch Lösung eines zentralen Engpasses. Das Kapazitätsproblem stellt bei Bauprojekten sowohl beim Planer als auch bei den Ausführenden einen zentralen Engpass dar. Wenn es mir gelingt, diesen Engpass zu lösen, schaffe ich die Grundlage für teilweise sensationelle Selbstorganisation auf der Baustelle. Normalerweise ist es die Aufgabe der ausführenden Firmen, ihren Arbeitseinsatz zu planen und entsprechend viele Arbeitskräfte bereit zu stellen. Die pünktliche Fertigstellung des Auftrags ist dabei vertraglich vereinbart. Als Auftraggeber sind Sie also erst mal in einer Warteposition. Sie können nur am Output feststellen, ob der Ausführende die Fristen tatsächlich einhält. Und selbst wenn es bereits absehbar ist, dass die Sache terminlich schief geht, haben Sie kein Rechtsinstrument in der Hand, um die ausführende Firma zu zwingen, z.B. die Anzahl der eingesetzten Arbeitskräfte zu erhöhen. Späterer Schadensersatz (Pönale) deckt dabei nie den tatsächlich entstandenen Schaden ab.

Mit unserer Methode lassen wir es erst gar nicht so weit kommen: Von Anfang an vereinbaren wir - nachvollziehbar - die erforderliche Kapazität der ausführenden Firma und legen sie auch vertraglich fest. Wir überlassen also diese Arbeitsvorbereitung bzw. Verantwortung nicht mehr der ausführenden Firma allein, sondern heben damit den Organisationsgrad bei den Firmen auf ein hohes und einheitliches Niveau.

SJ: Reicht diese Maßnahme schon aus, um die Terminpläne bei so großen Projekten wie Klagenfurt verbindlich einzuhalten?

Greiner: Für die Ausführenden gibt es neben dem klassischen Terminplan mit den Vertragsterminen und der vorbesprochenen Kapazitätsvereinbarung noch eine Besonderheit. So vereinbaren wir mit den Firmen der Ausbau- und Technikgewerke flexible Beginntermine. Wenn Sie z.B. mit dem Fliesenleger zum jetzigen Zeitpunkt einen Vertrag abschließen und sein Einsatztermin ist im Sommer des nächsten Jahres, so ist es unseriös ihn mit dem im Terminplan errechneten Datum vertraglich zu binden. Hierfür ist die zeitliche Distanz von heute bis zu seinem geplanten Einsatz viel zu groß. Zu viel Ungeplantes kann in der Zwischenzeit geschehen!

Also sehen unsere Vereinbarungen so aus, dass wir den Beginn der Fliesenlegerarbeiten auf ein Zeitfenster von z.B. +/-zwei Wochen um den errechneten Termin erweitern. Der endgültige Start der Ausführung wird dem Auftragnehmer dann sechs Wochen vorher mitgeteilt. Die Größe dieser zeitlichen "Fenster" hängt vom Gewerk und dem zeitlichen Abstand zwischen der Vertragserrichtung und der jeweiligen Ausführung ab. Diese Vorgangsweise hat sich sehr bewährt und wird von den Ausführenden inzwischen auch sehr geschätzt. Das eröffnet natürlich der Projektsteuerung große Flexibilität und wird auch der Unberechenbarkeit des tatsächlichen Projektablaufes gerecht. Bekanntlich ist die Störung nicht die Ausnahme sondern der Regelfall. Mit ihr muss immer gerechnet werden!

SJ: Gibt es noch andere Elemente des ky-bernetischen Baumanagements?

Greiner: Den fast noch größeren Engpass bildet das Informationsmanagement. Deshalb muss die gesamte Organisation eines Projektes darauf abzielen, den Informationsfluss während der Projektabwicklung auf höchstem Niveau zu halten. Das wird durch die Ablauforganisation und einem sehr strukturiertem Sitzungsmanagement mit klaren Aufgabenstellungen unterstützt. Als zentrale Informationsplattform wurde beim gegenständlichen Projekt in Klagenfurt ein virtueller Projektraum eingerichtet.

Um Engpässe von vornherein zu vermeiden, braucht man ein effektives Frühwarnsystem.

Zur Hintergrundinformation, dieses Großkrankenhaus hat fast den zehnfachen Umfang der Rekordklinik in Graz. Die Komplexität eines Projektes steigt nicht nur mit der Größe, sondern vor allem mit der Anzahl der Projektbeteiligten. Je mehr Beteiligte, desto mehr Information gilt es zu steuern. Beispielsweise erfolgen beim aktuellen LKH-Projekt derzeit die Betonarbeiten in den Untergeschossen und es wurden bis dato seitens der Planer bereits fast 2.000 Pläne gezeichnet, mit stark steigender Tendenz.

Aber nicht nur die Pläne sondern alle Informationen laufen über diesen virtuellen Projektraum, werden über ihn verteilt, dokumentiert und abgelegt. Alle Projektbeteiligten sind weiters angehalten, nur über den Projektraum untereinander zu kommunizieren. Darüber hinaus lassen sich mit Hilfe dieses Instrumentes standardisierte Prozesse der Ablauforganisation auch automatisieren. Als Beispiel: der Architekt liefert für einen Gebäudeabschnitt einen Vorentwurf, der mit dem Statiker und dem Gebäudetechniker abgestimmt werden muss. Der Statiker soll die Vorstatik einbringen und der Gebäudetechniker die notwendigen Versorgungsleitungen vortrassieren. Aufgrund dieser Informationen kann der Architekt wieder weiter planen.

Dieser Ablauf wird im virtuellen Projektraum vorprogrammiert. D.h. stellt nun der Architekt diesen Plan in den virtuellen Raum und löst diesen Prozess aus, werden automatisch der Statiker und der Gebäudetechnik-Planer "vom System" mit der Aufforderung angeschrieben, sich diesen Plan zur Bearbeitung downzuloaden. Erfolgt das nicht innerhalb einer definierten Frist, werden sie nach Ablauf dieser angemahnt. Wird nach wiederholter Mahnung nicht reagiert, bekommt die Projektsteuerung Nachricht um zu intervenieren. Diese automatisierte Vorgangsweise entlastet die Projektierung von vielen Routinearbeiten und sie kann sich auf die wirklichen Engpässe konzentrieren. Das Schöne dabei ist, die Nachvollziehbarkeit allen Geschehens. Es grenzt zwar schon fast an „Big Brother", also an die totale Überwachung, ist aber einer schnellen und überschaubaren Projektabwicklung sehr dienlich. Jeder Schritt ist damit nach vollziehbar. Ein Projekt- oder Sitzungsleiter kann sich beispielsweise schon vor Beginn eines Meetings darüber informieren, wer von den Sitzungsteilnehmern in das aktuelle Protokoll Einsicht genommen hat. Er weiß damit sofort, ob die Beteiligten vorbereitet sind oder nicht. Das ist sehr hilfreich - allerdings unerfreulich für Projektbeteiligte die gerne „im Trüben fischen".

SJ: Und wie reagiert die eher konservative und nicht gerade innovationsfreudige Baubranche auf diese Vorgaben?

Greiner: Die beteiligen Unternehmen sind i.d.R. zuerst überaus skeptisch. Diejenigen jedoch, die sich auf unsere Methode einlassen, oft erst durch Druck des Auftraggebers, sind damit sehr zufrieden. Die Auftragnehmer haben den Nutzen, eine qualitativ hochwertige Arbeitsvorbereitung frei Haus geliefert zu bekommen, und gleichzeitig sorgen wir seitens der Projektleitung für einen störungsarmen Projektablauf. Letzteres ermöglicht den ausführenden Firmen einen kontinuierlichen und „kostenschonenden" Arbeitsablauf.

SJ: Und welchen Nutzen hat davon der Bauherr?

Greiner:
An erster Stelle steht natürlich der Nutzen für unseren Kunden und das ist der Bauherr. Besonders in der Projektsteuerung arbeiten wir von Beginn an auf das Ziel hin, die Bauherrenvorgaben bezüglich Qualität, Quantität, Kosten und Termine exakt einzuhalten. Oft unterschreiten wir die vom Auftraggeber gewünschten Terminziele und bei den Kosten gelang es uns bisher immer, sie mit einer Genauigkeit von 1% einzuhalten. Bei der eingangs erwähnten Rekordklinik konnten wir fast 2 Millionen Euro einsparen und zwar zusätzlich zu den budgetierten Reserven. Ein halbes Jahr vor Inbetriebnahme haben wir dem Bauherren diese 2 Millionen Kostenunterschreitung mitgeteilt. Der war begeistert, vor allem dass er keine Mittel nachschießen musste, wie er es von früheren Projekten gewohnt war. Da er keine Budgetreduktion vornehmen wollte, wurden diese freien Mittel in die Qualitätsverbesserung des Hauses und der Medizintechnik investiert Die Klinik macht jetzt eher den Eindruck eines 5-Sterne Hotels als den eines Krankenhauses. Jeder kann sich davon persönlich überzeugen - vorzugsweise nicht als Patient!

Beim Bau der eingangs erwähnten Rekordklinik konnten wir zwei Millionen Euro einsparen.

SJ: Was sind ihre Pläne für die Zukunft? Können Sie Ihr System noch weiterentwickeln bzw. verbreiten?

Greiner: Den erhaltenen StrategiePreis für mein Lebenswerk habe ich - wie in meiner Dankesrede betont - stellvertretend für die Leistungen meiner Freunde und Mitstreiter für die Entwicklungsarbeit auf dem Gebiet der Baukybernetik in der Vergangenheit und Gegenwart entgegengenommen. Schon aus dieser
Sicht fällt es mir leicht, nicht an das Aufhören zu denken, denn es gibt noch viele Pläne für die Zukunft. Dabei liegt mir ein Projekt besonders am Herzen, das ich mit meinem Kollegen und Freund, Dr. Hans Steiner, verwirklichen möchte. Es ist dies die „Hohe Schule des Bauens", die die umfassendste und beste Bauausbildung der Welt werden soll.

Unsere Gesellschaft für Baukybernetik begeht heuer im Herbst den 20. Jahrestag ihrer Gründung. Das ist Anlass für uns, weniger Rückschau zu halten, sondern viel mehr uns mit der Zukunft unserer Branche zu beschäftigen, deren Image und den Mentalitäten der Bauschaffenden, ihrer Kundenorientierung usw. Wir müssen die Zukunft für unsere Branche erdenken, das Bauen wieder als Gesamtaufgabe in den Mittelpunkt stellen, um gemeinsam mit allen in der Branche Beteiligtem zu einer neuen Form der „Kultur des Bauens" zu finden. Ein Managementkongress, den wir in ca. 1,5 Jahren durchführen wollen, wird sich mit diesen Zukunftsthemen unserer Gesellschaft beschäftigen. Ich lade Sie heute schon zu dieser Veranstaltung ein!

Mit Dr. Otto Greiner sprach Thomas Rupp.

 

Kontakt:

o.greiner@go-baucontrol.at

Quelle: www.strategie.net  [StrategieJournal (02-07)]